Freitag, 20. April 2012

Keine Notwehr in der Parallelwelt?

Vor einiger Zeit wurde ein Polizeibeamter bei einer beabsichtigten Hausdurchsuchung von einem Mitglied der Hells Angels erschossen. Der Polizeibeamte hatte sich nicht als solcher zu erkennen gegeben, weshalb der Hells Angel einen Angriff der verfeindeten Bandidos gemutmaßt hatte, gegen den er sich zur Wehr setzen wollte. Der BGH hat den Hells Angel schließlich vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen, was bei Udo Vetter hier bereits Gegenstand der Betrachtung war und auch bei mir schon einmal, nämlich hier.

Jetzt ist unter dem Titel "Wider das Faustrecht" ein sehr interessanter Artikel in der FAZ vom 19. April 2012 erschienen, in dem Frau Dr. Grischa Merkel neue Fragen hinsichtlich dieses Urteils aufwirft, die sie beim BGH vermisst. Ihre Frage lässt sich etwas pointiert dahin zusammenfassen, ob nicht - möglicherweise - derjenige den Schutz des Gesetzes verlieren könnte, der sich selbst außerhalb des Gesetzes stellt, z. B. indem er Mitglied der Hells Angels wird. Es ist von einer "Parallelwelt" die Rede.

Frau Dr. Merkel fragt wörtlich,
"ob nicht das Notwehrrecht aufgrund einer Bereitschaft, im kriminellen Milieu zu agieren und sich auf diesem Feld Machkämpfe mit den Bandidos zu liefern, generell eingeschränkt sein könnte."
Dies sei zu erwägen, weil
"er gerade mit seiner unrechtlichen Lebensführung Notwehrsituationen typischerweise und geradezu leichtfertig herbeiführt."
Schließlich kulminiert dies bei Frau Dr. Merkel in der Frage, ob nicht
"der Angeklagte die Tötung des Polizisten durch sein Verhalten bereits vor der Tatsituation fahrlässig herbeigeführt (habe) - nicht durch den vorsätzlich abgegebenen Schuss, sondern durch sein vorheriges Treiben, das der Grund für die Hausdurchsuchung gewesen ist."
Um es vorweg zu nehmen: Ich glaube das nicht.

Ich halte schon den Ausdruck der Parallelwelt für unglücklich gewählt, denn es handelt sich nicht um eine parallel zu unserer Welt existierende - zweite - Welt der Rockerbanden. Es handelt sich um eine Subkultur, wie es unzählige gibt, von Kleintierzüchtern und Karnevalesen über Fußball-Hooligans bis hin eben zu Rockerbanden. Diese Subkulturen haben alle ihre eigenen Regeln und Gesetze, die sich bei einigen darin erschöpfen, ganzjährig oder saisonbedingt komische Kostüme vorzuschreiben, bei anderen auch bewaffnete Revierkämpfe vorsehen.

Alle diese Subkulturen haben gemein, dass sie sich nicht über das Recht der Gesellschaft hinwegsetzen, sondern zunächst exklusiv für ihre Mitglieder zusätzliche Regeln einführen. Interessant wird es dort, wo diese internen Regeln mit den Gesetzen der Außenwelt in Widerspruch stehen. Keine dieser Subkulturen zweifelt an, dass sie in diesen Punkten der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterliegen. Teilweise wird diese sogar ausdrücklich anerkannt; nur befolgt man die Rechtsordnung eben in bestimmten Punkten nicht. Das Ergebnis ist gegebenenfalls ein vorsätzlicher Gesetzesverstoß, mehr aber auch nicht.

Die Konstruktion erinnert z. B. an die zu früheren Zeiten herrschende Tradition des Duells, dass auch niemals legal, in gewissen Kreisen aber sehr wohl gesellschaftliche Realität war. Heutzutage vergleichbar sind vielleicht auch die ritualisierten Aufeinandertreffen rivalisierender Fußball-Hooligans.

Ein Grund, den Tätern für diese Form des motivierten Rechtsbruchs eigene Rechte abzusprechen, ist nicht ersichtlich. Schließlich nimmt der Staat bereits für sich in Anspruch, den Rechtsbruch nach seinen Regeln zu ahnden.

Mehr wäre auf keinen Fall rechtsstaatgemäß.










4 Kommentare:

  1. Erinnert an das kriegsvölkerrechtliche Konstrukt aus dem angelsächsischen Raum eines unlawful combatants, der seinen Schutz durch die Genfer Abkommen verliert, wenn er vorher die Regeln des Krieges missachtet...

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  2. Alex: Schreibt man nicht "Der Hells Angel"?

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  3. @ Alex: Einige von denen sind ja recht stämmig, da gehen die glatt in der Mehrzahl durch! ;-)

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  4. Diese Überlegungen sind nicht neu und ein strafrechtsphilosophischer Ansatz. Behandelt wird eigentlich die Frage, ob der Straftäter den Schutz des Gesetzes erhalten soll oder ob er zum Feind der Gesellschaft erklärt werden und mit allen Mitteln verfolgt und sanktioniert werden soll. Deutschland rühmt sich immer damit, dass der Schutz der Menschenrechte, Gleichheitsrechte usw. ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Gleichzeitig wird von der Gesellschaft und den Medien eine restriktive Behandlung von Kriminellen gefordert, die teilweise zu schädlichen Ergebnissen führt, wie die Einführung des Warnschussarrests eindeutig beweist. Ich persönlich bin Befürworter dieses Feindstrafrechts. Da dieses in der heutigen Staatsvernetzung nicht mehr durchsetzbar ist, sollte sich die Beteiligten auch klar davon abgrenzen und nicht Menschenrechte beten und Mittelalter fordern.

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