Dienstag, 27. Juni 2017

Panik auf den Straßen von Neuland


Haben Sie WhatsApp auf Ihrem Smartphone auch schon gelöscht? Aus Angst, Sie könnten abgemahnt werden? Weil das Amtsgericht Bad Hersfeld irgendwann im Mai sowas angeblich mal in ein "Urteil" geschrieben hat? Nun seien Sie mal nicht so ängstlich! Trauen Sie sich was!

Mindestens die Hälfte von dem, vor dem jetzt panisch gewarnt wird, steht in der Entscheidung nämlich gar nicht drin. Mindestens die Hälfte derer, die da jetzt panisch warnen, haben die Entscheidung entweder nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden. Unter Ziffer 5. der Leitsätze heißt es dort:

"Wer den Messenger-Dienst WhatsApp nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. 
Wer durch seine Nutzung von WhatsApp diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betreffenden Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden."

Die (technischen) Feststellungen im ersten Satz sind zweifellos zutreffend. Die rechtliche Einschätzung der Situation ist durchaus streitig, eine ganz gute Übersicht findet sich hier. (Der Kollegin Diercks sei Dank, über die ich auf diesen Beitrag gestoßen bin.) Nur am Rande sei bemerkt, dass das Amtsgericht Bad Hersfeld die diskutierte Rechtslage gar nicht entschieden hat, sondern nur auf die Gefahr hingewiesen hat, ein anderes Gericht könnte die Rechtslage in diesem Sinne entscheiden.

Gruselig ist allerdings, was einige Publikationen - insbesondere im Internet - daraus machen. Dabei ragt dieser Beitrag von t3n heraus, einem Medium, das sich immerhin als "digital pioneers" bezeichnet. Etwas Ahnung vom Recht wäre zur Abwechslung allerdings auch ganz schön, insbesondere, wenn man darüber schreibt.

Das "Digitalurteil" wird dort schon in der Überschrift als "absurd" bezeichnet, noch bevor überhaupt sein Inhalt wiedergegeben wurde.

Dann macht man sich - ganz im Nerd-Modus - schnell noch über die ach so weltfremden Gerichte lustig, die sich die WhatsApp-AGB bestimmt "ausgedruckt" hätten, um dann beiläufig einzugestehen, dass das eigentliche Problem wohl sei, dass die überfordeten Nutzer die AGB nicht läsen und keine Ahnung davon hätten, was die munter herunter geladenen Applikationen auf dem eigenen Smartphone so alles anstellten. Weil die Nutzer aber alle so dämlich seien, wären es "in erster Linie die Bedingungen des Messengers", die das Gericht hätte "angehen müssen". Das klingt staatstragend, ist aber leider völlig falsch, denn die AGB waren gar nicht Gegenstand des Verfahrens. Wirklich schlimm aber wäre, dass "die deutschen Gesetze nicht auf dem aktuellen digitalen Stand" wären, als bräuchte jedes Gesetz ein Update, wenn sich der Herr Digital mal wieder um die eigene Achse gedreht hat.

Es folgen wirre Horrorszenarien dergestalt, jeder WhatsApp-Nutzer könne schon einmal "vorsorglich Privatinsolvenz anmelden", weil er jetzt von jedem verklagt werden könne. Ungeachtet einiger unklarer Kausalitäten bei dieser stark vereinfachten Sachdarstellung erschreckt einmal mehr die Einstellung zum Recht, die dieser Artikel vermittelt.

Das "Urteil" sei "nicht digitalgemäß" moniert man; als wäre das Maß der gesellschaftlichen Ordnung nicht mehr das Gesetz, sondern der eigene Zeigefinger. Andererseits möchte man vielleicht aber auch, "dass WhatsApp das Sammeln sensibler Daten schlicht verboten" wird und schießt dabei noch weit über das kritisierte "Urteil" hinaus.

Bei dem "Urteil" handelt es sich übrigens um einen Beschluss in einem familienrechtlichen Verfahren.

Leute, alles halb so wild. Aber überlasst die rechtlichen Themen nächstes Mal bitte jemand anderem.





Freitag, 16. Juni 2017

Geisterfahrradfahrer in Berlin


In Berlin wurde ein Fahrradfahrer getötet, weil der Fahrer eines im absoluten Halteverbot stehenden Autos unachtsam die Fahrertür geöffnet und damit den Fahrradfahrer zu Fall gebracht hat. Die Berliner Presse berichtet hier. Bei dem Täter soll es sich um einen Diplomaten der Saudi-Arabischen Botschaft gehandelt haben.

Haben Sie bei dem Wort "Täter" jetzt etwa die Stirn gerunzelt? So nennt man jemanden, der eine Straftat begeht, und dass es sich bei diesem Verhalten um eine Straftat handelt, dürfte unstreitig sein. Fraglich ist einzig, ob die Tat mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangen wurde. Insoweit erinnert dieser Fall etwas an den - zufällig auch in Berlin spielenden - Fall des "Autorasers". Die rechtlichen Ausführungen zum Vorsatz lassen sich vom einen auf den anderen Fall übertragen.

Da könnte man sich jetzt Gedanken machen, wie man solche Straftaten zukünftig verhindert. Das passiert allerdings nur vereinzelt; ganz überwiegend beschäftigt sich die Öffentlichkeit damit, wie man stattdessen die Opfer drangsalieren kann. Und das zeugt wirklich von einer bemerkenswerten Grundeinstellung einiger Teilnehmer am politischen Diskurs.

Diskutiert wird aus diesem Anlass mal wieder die Helmpflicht für Fahrradfahrer, und sogar die Interessenvertretung der Radfahrer - der ADFC - gibt entsprechend "Tipps".

Man möchte also - allen Ernstes - aus Anlass einer Straftat den potentiell Geschädigten Vorschriften machen. Nicht etwa der Straftäter wird gemahnt, keine Straftaten mehr zu begehen, sondern der potentiell Geschädigte soll gefälligst aufpassen und am besten noch gesetzlich dazu verpflichtet werden. Da ist der legendäre Rat an die Frauen als potentielle Vergewaltigungsopfer, keine allzu kurzen Röcke mehr anzuziehen, nicht mehr fern. Und es ist auch eigentlich gar kein Rat, es ist ein Vorwurf - der Vorwurf nämlich, an den Folgen der Tat "selbst schuld" zu sein.

Da werden auf unerträgliche Art und Weise Ursache und Wirkung vermengt, strafbares Verhalten verharmlost und von einer Personengruppe einseitig gesetzte Gefahren dreist auf die Geschädigten abgewälzt.